Die zweite Schwangerschaft nach einer stillen Geburt: zwischen Angst, Freude und Hoffnung
- nadjabastl
- 4. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Als ich das zweite Mal den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, war es, als ob die Welt für einen Moment stehen blieb. Diese beiden kleinen Linien, die normalerweise pure Freude bedeuten, ließen mich in einem Sturm aus Gefühlen zurück. Nach der stillen Geburt meines ersten Kindes war da nicht nur Glück, sondern auch eine tiefe, lähmende Angst. Was wäre, wenn sich alles wiederholen würde? Was wäre, wenn ich wieder ein Kind verlieren würde? Und dann wieder – die Hoffnung. Statistisch gesehen verlaufen die meisten Schwangerschaften ja problemlos, und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, so eine Tragödie noch einmal durchstehen zu müssen?
Als psychosoziale Beraterin habe ich viel über Trauer und die psychologischen Prozesse des Verlustes gelernt. Trauer verläuft nicht in einer geraden Linie. Sie hat viele Gesichter: Schock, Wut, Verzweiflung und irgendwann Akzeptanz. Jeder, der einen Verlust erlebt hat, kennt diese Wellen, die mal sanfter, mal ungestüm über uns hereinbrechen. Die Trauer über den Verlust unseres ersten Kindes war ein Weg, den wir gehen mussten, und gleichzeitig hat sie uns auch viel gelehrt: Verlust braucht Zeit und Raum, und wir dürfen in dieser Zeit alles fühlen. Das habe ich in meiner Arbeit mit trauernden Menschen immer so vermittelt.
In meiner aktuellen Schwangerschaft ist jede Untersuchung eine Achterbahn der Gefühle. Jeder Herzschlag, den wir sehen und hören, ist ein Mix aus Erleichterung und Furcht, als könnte sich das Glück jeden Moment in Luft auflösen. Ich kann euch eines sagen: Diese Achterbahnfahrten sind anstrengend. Es wäre falsch zu behaupten, dass die Angst irgendwann ganz verschwindet, aber ich habe beschlossen, sie nicht über mein Glück herrschen zu lassen. Und mit jeder Schwangerschaftswoche, die vergeht, wächst auch meine Zuversicht. Nach und nach beginne ich, meine Vorfreude uneingeschränkt zuzulassen und sie auch mit der Welt zu teilen. Der Schritt, meine Schwangerschaft auf Social Media zu teilen, war ein Schritt in diesem Prozess.
Ich lasse bewusst kleine Momente des Glücks zu – das erste Bild beim Ultraschall, das sanfte Strampeln des kleinen Lebens in mir. Diese Momente, so kostbar und vergänglich, geben mir Kraft. Es ist eine bewusste Entscheidung, dem Leben wieder zu vertrauen, ohne zu vergessen, was ich erlebt habe. Es ist ein Tanz auf einem schmalen Grat, ein ständiges Abwägen zwischen dem Wunsch nach Unbeschwertheit und der harten Realität des Verlustes.
In der Trauerarbeit habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich diesen Raum für Schmerz und auch Heilung zu nehmen. Denn ohne diesen Raum bleibt die Trauer wie ein Schatten, den wir ständig mit uns tragen. Sich Zeit zu nehmen und all diese Gefühle zu durchleben, ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen von Stärke. Wir haben oft den Irrglauben, alles hinter sich lassen zu müssen, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch ich bin der festen Überzeugung, dass man gerade durch das Anerkennen und Akzeptieren der eigenen Gefühle, egal wie dunkel sie auch sein mögen, den Weg in ein neues Kapitel findet.
Für mich bedeutete das, meine Träume trotz des Erlebten weiter zu verfolgen und mein Herz wieder für das Leben zu öffnen. Es ist kein Entweder-oder – entweder Trauer oder Freude. Es ist beides, und beides darf und soll nebeneinander existieren. Das beste Beispiel ist der erste Geburtstag und auch Todestag meines ersten Sohnes. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon schwanger. An diesem Tag waren beide Kinder so präsent, genauso wie auch beide Gefühle: Schmerz und Freude. Wir haben geweint und uns gefreut, Ultraschallbilder verglichen und auch die schmerzhafte Erfahrung, die uns widerfahren ist reflektiert.
Heute möchte ich allen Personen, die Ähnliches erlebt haben, Mut machen. Es ist okay, traurig zu sein. Es ist okay, Zweifel zu haben. Es ist okay, sich Zeit zu lassen. Und irgendwann darf man auch wieder lächeln und träumen. Die zweite Schwangerschaft ist für mich eine Reise der Hoffnung und der Heilung. Sie hat mich gelehrt, dass das Leben, so grausam es auch manchmal ist, immer wieder neue Türen öffnet.
Mein Plädoyer dieses Eintrags ist ein Plädoyer an das Leben selbst: Lasst uns die Schatten der Vergangenheit anerkennen und sie als das akzeptieren, was sie sind, aber nicht darin verweilen. Lasst uns trauern, ohne den Blick auf das Licht zu verlieren. Denn das Leben – es geht weiter. Vielleicht nicht wie geplant, aber dennoch voller Möglichkeiten, neuer Hoffnungen und Träume.
Braucht Ihr, oder jemand den Ihr kennt Unterstützung bei der Bewältigung von Trauer? Speziell zu dem Thema stille Geburt und die Zeit danach, biete ich Begleitung und Beratung an. Meldet euch gerne bei mir, denn Reden hilft.
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